Geschichte(n) aus erster Hand

Zeitzeugen berichten ...

Am 21. Dezember 2023 wurde der Geschichtsunterricht der Klassen 9a und 9b/10b in die Mensa der Gemeinschafts- und Bolandenschule verlegt. Dort lauschten über vierzig Neuntklässler*innen gespannt den Worten dreier Herren zu: Der ehemalige Waghäuseler Bürgermeister Herr Robert Straub sowie die Herren Hugo Mahl und Hans Gottschalk erzählten von ihrer Kindheit während des Nationalsozialismus.

Zu Beginn schlug Herr Straub eine Brücke von heute in die damalige Zeit – eine Zeit ohne Internet, ohne Fernsehapparate, in der auf dem Lande nur wenige Menschen einen Volksempfänger besaßen. Schwer vorzustellen für viele Jugendliche, die jederzeit Nachrichten aus mehreren Ländern bequem empfangen können und, um es salopp ausdrücken zu dürfen, dank ihrer Smartphones „24/7“ sozial vernetzt sind.

In Kirrlach erinnerten damals obligatorische Fahnenappelle und fehlende Väter an den Krieg. In der Schule mangelte es an Lehrern – auch diese wurden eingezogen. Die Frauen wurden nun gezwungen, nebst den eigenen, die Aufgaben ihrer Partner zu übernehmen. Zwar musste man als Kind nach dem Unterricht und in den Ferien ebenfalls viel auf dem Feld aushelfen, doch nach getaner Arbeit erwartete einen die endlose Freiheit. Man spielte in Wäldern und entdeckte die Natur. Und wenn es wieder einmal Fliegeralarm gab, so freute man sich, denn Fliegeralarm bedeutete schulfrei.

Herr Mahl schilderte die Schicksalstage von Wiesental – den Luftangriff auf Wiesental am 21. Januar 1945, bei dem die Wiesentaler Kirche ausbrannte und 37 Menschen starben. Er selbst wohnte damals als Kind in der Lußhardtstraße, in der viele Häuser vom Bombardement betroffen waren. Seine Familie hatte Glück. Er erzählte von Ängsten und Sorgen, die die Menschen aus ihrem dörflichen Alltag immer wieder wachrüttelten: dem Briefträger, der Einberufungsbescheide brachte, dem Bürgermeister, zu dessen Aufgaben obendrein das Überbringen von Todesmeldungen wurde…

Zu den Aufgaben eines Bürgermeisters gehörte im Nationalsozialismus auch, so Herr Straub, einmal im Jahr eine Auskunftsanfrage „von oben“ zu beantworten – ob es in der Gemeinde Juden oder geistig behinderte Menschen gäbe. Hier machte Herr Straub am Beispiel eines Kirrlacher Pfarrers deutlich, womit man bei Nichtgehorsam und Kritik zu rechnen hatte: Herr Pfarrer Valentin Biechler wurde „1941 wegen Äußerungen gegen den Krieg denunziert, von der Gestapo verhaftet und einige Monate in ,Schutzhaft‘ genommen“[1].

Herr Gottschalk ließ die Zuhöre*innen an seinen Erinnerungen an die Vertreibung aus seiner schlesischen Heimat teilnehmen. Er schilderte die sechstägige Fahrt in einem mit Stroh ausgelegten Waggon, der von einem Holzofen gewärmt wurde. Während der Zwischenstopps sammelte man Holz, um diesen befeuern zu können. Unterwegs sah man das grausame Gesicht des Krieges: die zu Trümmerwüsten verwandelten Städte und andere Zerstörungen.

Alle drei Herren waren sich einig, dass man auf dem Land das Glück hatte, nicht hungern zu müssen. Steckrüben, Maisgrießbrei zum Frühstück – jeder hatte einen Acker, der das Überleben sicherte. Schokolade zum Beispiel kannte man nicht und konnte sie somit auch nicht vermissen.

Auf die Nachfrage der Rektorin Frau Christiane Naas, worauf wir alle heute achten müssen und welche Botschaft die Gastredner unseren Schüler*innen übermitteln möchten, gab es eine einheitliche und eindeutige Antwort: Wir sollen aufeinander achten, miteinander reden und uns von aufhetzende Worten nicht anstecken lassen.

Dass Menschen, egal welcher Herkunft, die gleichen Bedürfnisse haben, macht dieser Bericht deutlich: Immer wieder flogen feindliche Bomber über den Feldern. Man hörte jedoch von Begegnungen, bei welchen, trotz „guter“ Gelegenheit“ zu schießen, es nicht getan hatte. Vielleicht dachte man als Soldat an die eigene Familie, vielleicht erinnerte die Gestalt eines „feindlichen“ Jungen an die Gestalt des eigenen Bruders…

Nach dem Vortrag bot Herr Mahl den Zuhören*innen an, sich alte Fotos anzuschauen und die Gelegenheit zu ergreifen „einmal eine Million Mark in den Händen zu halten“ – eine Erinnerung an die Inflation während der Weimarer Republik.

Wir, die Schulleitung der GMS und die Lerngruppenleiter*innen der Klassen 9a und 9b/10b bedanken uns herzlich bei Herrn Straub, Herrn Mahl und Herrn Gottschalk für den bereichernden Vortrag und ihre Bereitschaft, die Fragen unserer Schüler*innen zu beantworten.

Die Resonanz, die wir nach diesem lebendigen Geschichtsunterricht erhielten, fiel sehr positiv aus. Die jungen Menschen fanden die erzählten Geschichten „sehr spannend“ und „interessant“. Dies bewiesen sie bereits während der Veranstaltung durch ihr aufmerksames Zuhören. Man konnte deutlich sehen, wie sie den drei Herren die Worte gespannt von den Lippen ablasen.

Ein Dank geht ebenfalls an den ehemaligen Rektor der Bolandenschule (und am Ende seines Dienstes als Rektor der frisch geborenen Gemeinschaftsschule tätig) Herrn Günther Matjeka und an Herrn German Senger, die mich als Planerin auf der Suche nach Zeitzeugen unterstützten und mir mithilfe ihrer Kontakte viele Türen und somit Ohren für mein Anliegen öffneten.

Kathrin Michalowska-Senger

[1] Guttmann, Barbara (Hrsg.): Stadt Waghäusel. Die Geschichte von Kirrlach, Wiesental und Waghäusel. G. Braun Druckerei GmbH & Co. KG: Karlsruhe 1994, S. 486.